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Johanna Römer oder: Kreuzzug des Weibes

Büste von Gottfried Kohl (1921-2012) von Johanna Römer aus dem Jahr 1965

Inhalt: Schwangerschaftsabbruch, Vergewaltigung, Ableismus

In Freiberg gibt es 258 Straßen. Eine davon ist nach Johanna Römer benannt. Aber wer ist das eigentlich?

Johanna Römer wurde am 17.02.1883 in Freiberg geboren. Dort wuchs sie in einer bürgerlichen Familie mit mehreren Geschwistern auf. Mit Mitte 20 lebte sie als Erzieherin in Paris und Turin, mit ihrem Ehemann lebte sie bis zu seinem Tod 1920 in Wien. In den 1920er Jahren zog es sie wieder zurück nach Freiberg, wo sie in einer Buchhandlung arbeitete.

Johanna Römer war Mitglied der SPD und organisierte eine Frauengruppe innerhalb der Partei. Sie trat als Rednerin auf verschiedenen Veranstaltungen, auch auf dem Land, auf. Ihr Einsatz für Frauenrechte zeigt sich auch im Zeigen des Films „Kreuzzug des Weibes“ aus dem Jahr 1926, der das Thema Schwangerschaftsabbrüche behandelt.

Filmplakat des Films „Kreuzzug des Weibes“, entworfen vo Künstler Lipót Sátori

Kurzer Exkurs

Der Stummfilm schildert die Geschichten dreier Frauen, die an sich Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen. Die Arbeiterfrau, die ungewollt mit dem fünften Kind schwanger ist; die moderne Frau, die, als sie den Ehemann mit dem Dienstmädchen erwischt, nicht länger sein Kind austragen will; und die Hauptfigur die junge Lehrerin, die vergewaltigt wird und hadert, wie sie es ihrem Verlobten, dem Staatsanwalt, sagen soll.

Für die damalige Zeit ist der Film eine Zäsur, denn erstmals werden Ärzte abgebildet, die sich auf die Seite der Frauen schlagen und die vorgenommenen Abbrüche vor der Staatsanwaltschaft verteidigen, anstatt diese anzuzeigen. Außerdem setzt der Film die Rolle der Lehrerin als aktiven Charakter in Szene, wenn sie offen das Rechtssystem hinterfragt: „Wieso kann ich dazu gezwungen werden, eine Schwangerschaft auszutragen, an deren Zustandekommen ich unschuldig bin?“.

Nichtsdestotrotz geht es vordergründig um die männlichen Charaktere und deren Charakterentwicklung, die in Beziehung zu der Lehrerin stehen: der Vergewaltiger, der Arzt und der Staatsanwalt. Das Ende zeigt diesen seinen Dienst quittierend, weil er das Gesetz nicht mehr länger vertreten kann.

Die Handlung nimmt auch Bezug auf die unterschiedlichen sozialen Verhältnisse in denen sich Schwangere befinden. So sieht sich die Arbeiterfrau in einer Notsituation, da die Familie ohnehin schon wenig Geld hat und die vier Kinder Hunger leiden. Weil sie keinen anderen Ausweg sieht, als der Arzt ihr einen Abbruch verweigert, führt sie den Abbruch selbst durch, was für sie tödlich endet. Wenig später wird dann auch noch der Vater von der Polizei abgeführt, „wegen des dringenden Verdachtes sich gegen §§218/219 (Verbrechen gegen das keimende Leben) vergangen zu haben“. Nun stehen die Kinder mittellos und alleine da.

Wohingegen die moderne Frau, die nicht länger das Kind ihres Ehemanns austragen will, einfach ihren Hausarzt um Hilfe bittet. Dieser wird später für sie beim Staatsanwalt einstehen und sagen, dass ihre Gesundheit durch eine Fortführung der Schwangerschaft gefährdet wäre. Als moderne Frau weiß sie sich selbst zu helfen, was auch in der Diskussion mit ihrem Mann deutlich wird: „Für deine Vaterfreuden werde ich meine Figur nicht verderben“. Es klingt wie ein Vorläufer von „my body my choice“.

Nicht zuletzt sollte erwähnt und kritisiert werden, dass der Film ableistische Denkmuster produziert. Dies zeigt sich in der Figur des behinderten Sohnes der Portierfrau, der am Ende des Films als Täter entlarvt wird.

„Ähnlich wie Rassismus und Sexismus erfüllt Ableismus eine Funktion für die Konstruktion von Normalität: Die Markierung von behinderten Menschen als „Andere“, denen gegenüber sich ein normiertes, autonomes und leistungsfähiges Ideal-Subjekt aufrechterhalten lässt“ (vgl. bpb.de). Der „Andere“ ist der behinderte Charakter und Täter; das normierte, autonome und leistungsfähige Ideal-Subjekt ist hingegen der Arzt, der Staatsanwalt, der moderne Mann. In dem der Charakter, der den Namen „Der Idiot“ hat, als behindert dargestellt wird und Täter ist, wird er sozusagen doppelt anders und doppelt gegensätzlich zu den anderen (männlichen) Figuren im Film dargestellt.

Neben den spannenden Aussagen zur Thematik des Schwangerschaftsabbruchs in der Weimarer Republik sollte der Film also ableismuskritisch und klassismuskritisch eingeordnet werden. Und auch der Titel des Films könnte hinterfragt oder interpretiert werden. dazu empfiehlt sich der Artikel im Digitalen Deutschen Frauenarchiv, siehe unten.

Zurück zu Johanna Römer

Bis zum Jahr 1933 leitet Johanna Römer eine Bücherstube der SPD, die zur Zeit des Nationalsozialismus geschlossen wird, woraufhin sie mit ihrer Schwester ein Kunstgewerbegeschäft eröffnet. Nach der Reichspogromnacht, in der sie die Zerstörung des Schocken-Kaufhauses in der Petersstraße erlebt, verbreitet sie illegale Schriften. Mehr zu ihren Tätigkeiten gegen den Nationalsozialismus ist nicht bekannt.

1947 übernimmt sie die Leitung des Kulturamtes in Freiberg und vertritt den „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“, aus dem 1990 der Kulturbund e.V. hervorgegangen ist, ein Verein, der Kultur ermöglich, erhält und fördert (vgl. kulturbund-sachsen.de). Außerdem ist sie im Frauenausschuss tätig und später als Rentnerin im Kreisfriedensrat und im Cotta-Club des Kulturbundes.

Johanna Römer stirbt am 27.03. 1975.

Quellen:

https://www.freiberger-altertumsverein.de/images/stories/fav/Hefte-neu/PDF/MFA92.pdf

https://digitaler-lesesaal.bundesarchiv.de/video/1510/682412

https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzzug_des_Weibes

https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/218-und-die-frauenbewegung/eine-zaesur-im-film

https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/539319/ableismus-und-behindertenfeindlichkeit/

Bildquellen:

Von Gottfried Kohl – https://nat.museum-digital.de/object/982041

Von Lipót Sátori – http://www.plakatkontor.de/ivpda-poster-show/satori-lipot-film-kreuzzug-des-weibes.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44370038

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Film und Gespräch mit Regisseurin

Freitag, 31. Mai, 19 Uhr, Lehngericht Augustusburg – andere Vorführungen entnehmt ihr bitte dem Veranstaltungskalender auf www.lernortverbund.de oder direkt von

Frauen in Landschaften…

Kein Zweifel: Ostdeutsche Frauen können Politik! Sie treiben gesellschaftlichen Wandel voran und kämpfen für ihre Überzeugungen. Anke Domscheit-Berg (Die Linke), Yvonne Magwas (CDU), Frauke Petry (parteilos, ehemals AfD) und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sind Protagonistinnen im neuen Film der preisgekrönten Regisseurin. 

Die Dokumentation „Frauen in Landschaften“ schafft mit einfühlsamen Interviews eine Atmosphäre, in der das Publikum an beruflich-politischen und auch an sehr persönlichen Erfahrungen der porträtierten Frauen teilhaben kann. Bei allen Unterschieden zwischen den politischen Positionen und Ämtern sowie dem Alltag der vier Politikerinnen ist ihre DDR-Biographie ein verbindendes Element.

Nach der Filmvorführung ist das Publikum herzlich eingeladen, mit der Regisseurin Sabine Michel ins Gespräch zu kommen. Die Abendveranstaltungen sind zugleich als Plattform für Erfahrungsaustausch und Vernetzung lokalpolitisch-Engagierter und aller interessierter Bürger*innen gedacht.

Die Veranstaltung findet in Kooperation mit der Volkshochschule Mittelsachsen statt; die Teilnahme ist kostenfrei.